Digi-Dest

 „Ich sehe was, was du nicht siehst“
Grenzen und Möglichkeiten der Aktionsraumanalyse im Tourismus

Marcus Bauer, htw saar

Der folgende Beitrag basiert auf einem Vortrag im Rahmen des 10. Bremer Freizeitkongresses im November 2018. Das Kongressthema war Digitale Freizeit 4.0.

Projekthintergrund

Destinationen lassen sich nicht als eindeutige geographische Räume abgrenzen. Sie werden aus der Perspektive der Touristen individuell und ungeachtet von Grenzen bestimmt. Destinationsmanagementorganisationen (DMOs)[1] stehen vor der Herausforderung, die Destinationswahrnehmung ihrer Gäste zu erfassen, um hieraus Wettbewerbseinheiten zu bilden und diese als strategische Geschäftseinheiten wettbewerbsfähig zu führen. Grundlage für die Abgrenzung und Differenzierung von Destinationen ist der Aktionsraum der Touristen[2].

Big Data sowie Advanced Analytics, also fortgeschrittene Formen der Datenanalyse, liefern vielversprechende Ansätze, bereits vorliegende digitale Datenspuren z. B. aus Nutzungsdaten von Gästekarten, sozialen Netzwerken, oder mittels Mobile Tracking zu nutzen. Diese in der Industrie recht verbreiteten Ansätze, finden in der überwiegend klein- und mittelständisch geprägten Tourismuswirtschaft bislang jedoch kaum Anwendung. Die Gründe hierfür liegen einerseits in der heterogenen Struktur der touristischen Wertschöpfungskette. Andererseits blockieren Sicherheits-, Datenschutz- und technische Hürden die Verwendung von anwenderbezogenen Daten. Und als weiterer gravierender Hemmfaktor steht der Faktor Mensch, als Individuum oder als Organisationseinheit, sich oft selbst im Weg – durch technische Unkenntnis, enge Budgetvorgaben, fehlende Kooperationsbereitschaft, eingeschliffene Routinen oder mangelnde Anpassungsfähigkeit.

Forschungsvorhaben

Im Rahmen des einjährigen Forschungsprojektes „DigiDest“ im vergangenen Jahr unter der fachlichen Leitung von Prof. Dr. Achim Schröder an der htw saar in Saarbrücken sollten die Grenzen und Möglichkeiten der Aktionsraumforschung im touristischen Kontext aufgezeigt werden. Das Hauptaugenmerk richtete sich auf drei Hauptbereiche: Erstens sollte ein Überblick über die technischen Standards und Tools bieten, die im Tourismus Anwendung finden (könnten). Hier ging es explizit auch um den Blick auf andere Dienstleistungsbetriebe und die Industrie, sodass (mögliche) Querverbindungen aufgezeigt werden können. Zweitens sollten die rechtlichen Rahmenbedingungen umrissen. Drittens ging es um die Frage, was die Destinationsmanagementorganisationen (DMOs) [3] an Daten haben bzw. haben wollen und was sie als unnütz ansehen. Darauf aufbauend sollte ein Modell entwickelt werden, wie digital vorliegende Datenspuren im Destinationsmanagement genutzt werden können und welche zentralen Fragen hierzu in Zukunft diskutiert werden müssen.

Vorgehensweise

Aufbauend auf der Identifikation relevanter Aufgabenbereiche des Destinationsmanagements sowie einer Gegenüberstellung unterschiedlicher Methoden der Aktionsraumforschung, erfolgte eine Bestandausaufnahme zum Einsatz moderner Datenerhebungstechniken im Destinationsmanagement. Parallel hierzu wurden aktuelle Trends und technische Möglichkeiten sowie potenzielle Datenquellen mit Bezug zum Destinationsmanagement und zum aktionsräumlichen Verhalten identifiziert. Den Abschluss von Arbeitspaket 1 bildete die Aufbereitung bestehender und zu erwartender rechtlicher Rahmenbedingungen für die Datenanalyse und -anwendung. Im Arbeitspaket 2 erfolgte eine strategische Analyse, d. h. eine Verdichtung, Bewertung und Verzahnung der Informationen. Die Arbeitspakete 3 (Modellentwicklung) und 4 (testweise Anwendung des Modells) wurden nur in sehr abgeschwächter Form durchgeführt. Die anfängliche Vermutung, dass es – vor allem aufgrund der Datenschutzbestimmungen[4] – problematisch werden könnte, brauchbare Datenquellen tatsächlich praktisch anzuzapfen und die daraus gewonnen Daten auszuwerten, bestätigte sich schon recht früh im Projektverlauf. Arbeitspaket 3 und 4 wurden entsprechend in einen möglichen Ausblick auf relevante Fragestellungen und theoretisch mögliche bzw. wünschenswerte Systeme transformiert.

Die touristische Relevanz von Aktionsräumen

Es ist ein alter und verständlicher Wunsch, dass man wissen will, was bzw. wer sich wann und wo befindet. Ein Beispiel, das dies sehr gut verdeutlicht, ist die Kuh auf der Alm. Die Glocke sendet akustische Signale, die eine Ortung zulassen. Ihre Beschaffenheit ist so individuell, dass die Kuh eindeutig dem Besitzer zuzuordnen ist. Heute ist die Glocke meist Zierwerk; die unverfälschbare Identifikation erfolgt mittels Ohrmarken und die Lokalisierung mittels GPS-Halsband. Auch die Wildtierforschung hat sich durch die Nutzung von GPS-Technik verändert, weil sich Standorte sehr genau und regelmäßig ohne Einschränkung auf bestimmte Zeitabschnitte erfassen lassen (Skandinaviska Björnprojektet, o. J.). GPS erlaubt zudem die Erfassung großflächiger Bewegungsprofile, auch über Landesgrenzen hinweg (Südtiroler Landesverwaltung 2015). Ein Beispiel hierfür ist die Route des Braunbären M25, der 2014, mit einem GPS-Sender ausgestattet, mehrere Hundert Kilometer zwischen Italien und der Schweiz herumwanderte. Was in der Wissenschaft neue Horizonte eröffnete, ist auch in der Wirtschaft von Interesse. Wenn Daten der neue Rohstoff für das 21. Jahrhundert sind, dann sind ortsbezogenen Daten das Gold der neuen Ökonomie (Crist 2015). Dieser Gedanke aus dem Transportsektor lässt sich analog auf jede raumbezogene Wirtschaft, also auch den Tourismus, übertragen.

Es gilt aber zu berücksichtigen, dass die Definition von Destinationen amorph ist, es also kein festes Konstrukt der touristischen Destination gibt. Auch Destinationen definieren sich über den Aktionsradius der Gäste und stellen „mehrere unterschiedliche, teilweise überlappende Räume, die aus dynamischen, zeitweise stabilen Gästeströmen bestehen“ (Beritelli et al. 2013, S. 115) dar. Im Gegensatz zu Wildtieren und Waren lassen sich Gäste jedoch schwer nachverfolgen.

Eine Radtour entlang der Saar unterscheidet sich grundlegend von einem mehrtägigen Besuch eines Center Parcs. So interessiert sich bspw. die Tourismus Zentrale Saarland GmbH (TZS)[5] als Destination Management Organisation (DMO) dafür, woher die Gäste kommen und wohin sie gehen. Hierzu erhebt sie Daten mittels Besucherbefragung, Auswertung von Abhebungen an Geldautomaten, Nutzungsauswertung der Gästekarte sowie Webseitenanalyse. Dennoch kann sie die relevanten Fragestellungen damit nur ungenau beantworten (Dubois 2018). Dafür lassen sich mehrere Gründe anführen: Die bestehenden Erhebungsverfahren sind zeitlich eingeschränkt und räumlich begrenzt. So erfolgte die Gästebefragung im Saarland mittels Face to face-Interviews mit Übernachtungsgästen in 25 Wellen zwischen 09/2016 – 08/2017, wobei 888 Personen befragt wurden. Hinzu kommt, dass derartige Besucherbefragungen sehr kostenintensiv und aufwändig sind. Ein weiteres Hindernis ergibt sich dadurch, dass oftmals ortsbezogene Daten zwar vorliegen, beispielsweise in Beherbergungsbetrieben, diese aber nicht zentral zugänglich sind. Außerdem lassen sie wiederum keine verlässliche Aussage über die Aktivität des Gastes zu. Faktisch weiß ein Betrieb nicht, was der Gast tut, sobald er diesen verlässt. Es lassen sich also regelmäßig nur Drehkreuze beobachten.

Was für die Betriebe im Kleinen gilt, lässt sich auch für einen größeren Betrachtungsrahmen feststellen: in den aktuellen administrativen Strukturen stehen Destinationen vor der Herausforderung, dass sie maximal einen Ausschnitt es Tourismus abbilden – und erforschen – können. Der Hebel muss eigentlich an die transnationalen/transregionalen Dachorganisationen, um die Tourismusströme inkl. Ein- und Ausgängen korrekt und umfassend abbilden zu können. Kooperationen mit benachbarten administrativen Destinationseinheiten machen Sinn.

Zu Beginn des Projektes wurden folgende sechs Thesen aufgestellt, die die aktuelle Situation beschreiben:

  1. Menschen/Touristen hinterlassen permanent Spuren. Die Information über das Mobilitätsverhalten ist also grundsätzlich da.
  2. Wir wissen sogar, dass man uns beobachtet. Wir wissen aber kaum wer, wie und wozu.
  3. Touristische Leistungsträger haben ein starkes Interesse an diesen Informationen. Das trifft für Destinationen jeder Größe zu, von der Welterbestätte bis zum Bundesland – und darüber hinaus. Mit steigender touristischer Intensität steigt auch der Druck in den Destinationen und auf die Destinationen – Stichwort ‚Overtourism‘. Früher oder später wollen die Destinationen die Kontrolle über die Tourismusströme (wieder[6]) erlangen.
  4. Destination werden für Besucher-Daten zahlen, viele tun das bereits.
  5. Es gibt (kostenfreie) Systeme, die Daten in Echtzeit generieren und teilweise auch zur Verfügung stellen: lokalisierte Apps, GPS-basierte Dienste, Bezahlsysteme, Bluetooth-Sensoren, geo-basierte Internet-Daten. Gesammelt werden sie von Privatanbietern ebenso wie von staatlichen Stellen. Mit den verbesserten technischen Möglichkeiten – Stichwort 5G-Netz – wird auch die Verfügbarkeit von Daten zunehmen.
  6. Es wird Gäste geben, die freiwillig Datenspuren hinterlassen. Anreizsysteme zum Einverständnis mit einem Tracking könnten analog zu Kundenkarten in Gewinnspielen, Rabattvorteilen oder Clubmitgliedschaften bestehen. Auch das Sicherheitsempfinden der Gäste kann als möglicher Anreiz angesehen werden[7] (Heuwinkel 2017, S. 101ff). 

Neben den technischen Möglichkeiten stand die Relevanz für den Tourismus im Vordergrund. Hierzu zählen neben dem Wer, Woher, Wo, Wann, Wie lange und Wohin auch die Aspekte Mit welcher Motivation, Mit wieviel Kaufkraft, Wie häufig und Auf wessen Empfehlung. Würden all diese Informationen für alle Gäste und an allen relevanten Punkten in der Destination vollständig erhoben, ließe sich ein lückenloses Abbild der touristischen Ströme und deren Relevanz als Zielgruppe erstellen.

Datenschutz und Verwendbarkeit von Daten

Im Gegensatz zum anfänglich erwähnten Bären, dessen Persönlichkeitsrechte ja nicht geschützt sind, ergibt sich bei Menschen das Problem der rechtlichen Zulässigkeit solcher Erhebungen. Beim Menschen kann man – vereinfacht ausgedrückt – keine Ohrmarken und Peilsender anbringen.[8] Die Einführung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 trägt den technisch machbaren Entwicklungen Rechnung und versucht, sie mit den persönlichen Rechten der Nutzer digitaler Dienste zu vereinbaren (DSGVO 2016). Einige der oben genannten Fragestellungen werden damit problematisch, alle biometrischen Daten – also das WER – sind tabu. Außerdem ergeben sich Probleme bei Daten, die nur Sinn machen in Verknüpfung mit der Person oder immer unmittelbar personenbezogen erhoben werden. Hierzu zählen die o. g. Punkte Motivation, Kaufkraft, Häufigkeit und Empfehlung. Allerdings lässt sich das Wer weiter aufgliedern: Man kann potenziell Informationen sammeln über Alter, Herkunft, Geschlecht und Familienstand, solange man nicht auf ein Individuum rückschließen kann. Mittlerweile existieren zertifizierte Anonymisierungsverfahren, die dies technisch verlässlich und rechtlich unproblematisch machen. Darüber hinaus regelt die Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) 2012 die gesetzlichen Vorgaben für Ortungsdienste (Bundesnetzagentur 2014). Demnach ist die Erhebung von ortsbezogenen Daten nur in strengen Ausnahmefällen legal und auf die Speicherung der Daten auf dem jeweiligen Sendegerät bzw. im jeweiligen Nutzerprofil beschränkt.

Das Einverständnis der Nutzer mobiler standortbezogener Daten mittels Apps ist dennoch Usus. So fordert Google die Nutzer von Smartphones auf, dass sie „Zulassen, dass Apps meinen Standort mithilfe des Google-Standortdienstes bestimmen. Anonyme Standortdaten werden damit erfasst und an Google gesendet sowie ggf. auf dem Gerät gespeichert. Dies kann auch dann geschehen, wenn gerade keine Apps ausgeführt werden.“Die Aggregation dieser Daten sagt sehr viel über eine Person aus und erlaubt es, schnell Muster zu erkennen. Beispielsweise ermöglichen die Bewegungsintervalle (Mo.-Fr. von 9-18 Uhr, Bürokomplex) und (Mo.-Fr. von 19-08.30 Uhr, Wohngegend) eine schnelle Zuordnung von Arbeitsplatz und Wohnort. Die Segmentierung weiterer Präferenzen (Fitnessstudio, Kino, Gin Bar) erfolgt im zeitlichen Verlauf vollautomatisch. (MobileMedia, 2015)

Einsicht in die gerätebasierten Nutzerdaten bei Google und anderen Internetkonzernen sind für Tourismusdestinationen (bisher) nicht zugänglich. Es existieren aber diverse weitere IT-Schnittstellen zur Datenerfassung. Hier ergibt sich jedoch die Problematik, dass diese „Daten- und Informationen zu unspezifisch und oft nur auf einem hohen Aggregationsniveau vorliegen.“ (Beritelli et al. 2013, S. 65) Etwa, wenn eine Destinationsverwaltung eine Zusammenfassung der Zahlen des vergangenen Jahres bekommt. Mit der Zahl 2,3 Millionen Gäste ist rückblickend wenig steuernd zu bewirken, sie eignet sich maximal als Vergleichswert zu anderen Zahlen bzw. Destinationen. Sie liefert allerdings keine Aussage zu Wo, Wie, Wie lange, Wer etc. Der Aggregationsgrad der verfügbaren Daten ist teilweise aber auch zu feingliedrig, weil zu viele Einzelleistungsträger am touristischen Produkt mitwirken. So misst und dokumentiert ein Restaurant durchaus Wie viel (Umsatz), Wann und Was. Diese Daten liegen aber nicht für alle anderen Leistungsträger vor, bzw. werden vor Weiterleitung an eine zentrale Datensammlungsstelle[9] verdeckt bzw. unscharf gemacht. Die Schwierigkeit ist, dass Tourismusdestinationen ein Köper ohne Kopf sind. Es gibt viele kleine Nervensysteme, in denen Daten kursieren, diese laufen aber nirgends zentral zusammen.

Technische Schnittstellen

Standortrelevante Daten sind beispielsweise einsehbar, wenn Nutzer von Internetdiensten an bestimmten Orten „einchecken“ bzw. Fotos beim Upload verorten. Auf den entsprechenden Online-Plattformen – stellvertretend genannt seien die touristische Bewertungsplattform Tripadvisor oder das soziale Foto-Management-System flickr – werden aus diesen Informationen Landkarten generiert. (vgl. Tripadvisor, o. J.). Zwar kann man „manuell“ die verorteten Fotos eines Nutzers auswerten, eine automatisierte Auswertung ist jedoch nicht vorgesehen. Die entsprechenden Datenschnittstellen (APIs) haben hier mittlerweile starke Einschränkungen. Technisch möglich wäre sie aber weiterhin, denn via Skript ließe sich folgende Anfrage generieren: Schaue dir einen Ort an (Bspl. die Welterbestätte Völklinger Hütte) und zeige alle Nutzer an, die in einem bestimmten Zeitraum Fotos von dort hochgeladen haben. Danach schaue auf deren Profil nach, wo sie sonst in einem zu definierenden Zeitraum (Bspl. +/- 3 Tage) sonst noch Fotos hochgeladen haben, evtl. eingeschränkt auf einen Umkreis. Das Ergebnis wäre eine Auflistung von Datenspuren, die allerdings nicht sehr aussagekräftig wäre, weil nicht überall, in Echtzeit (d. h. während der Gast noch vor Ort ist), von allen Besuchern, exakt verortete Fotos im Internet öffentlich zugänglich gespeichert werden.

Standortfreigaben via App beschränken sich ebenfalls auf einen kleinen Kreis an Kontakten. In der Regel werden dies Privatpersonen sein, wobei das Teilen von Standortdaten an Geschäftsaccounts technisch ohne weiteres möglich ist. Eine praktische Anwendung dieser Funktion z. B. zu Marktforschungszwecken ist aber bisher nicht bekannt. Unter dem Begriff Hyperlocal platzieren allerdings diverse Apps – als Hybrid zwischen Geoverortung und Echtzeitfreigabe von Standortdaten – von Nutzern zur Verfügung gestellte visuelle Inhalte auf Karten. Je nach Intensität der Nutzung entstehen so Landkarten mit farblich differenzierten Routen bzw. Punkten, sogenannter Heat Maps, angesagter Orte und Wege und dies skalierbar auf ein metergenaues Niveau. Eine mögliche Tendenz, die auffiel: während man bei älteren Apps den Standort für eine bestimmte Zeit freigibt, so drehen einige neuere Apps dieses Prinzip um. Hier ist man regelmäßig „trackbar“, kann sich aber für eine bestimmte Zeit verstecken, d. h. seine Standortfreigabe abschalten. Andere Apps, firmierend unter dem Begriff der Family Tracker, zeichnen Bewegungsprofile anderer Nutzer auf und teilen diese an Dritte – in diesem Fall die Eltern. Dies zur Verdeutlichung, dass technisch hier keine Hürden mehr bestehen.

In aggregierter Form finden derartige Mobilitätsdaten, ausgesendet von Mobiltelefonen, bereits breite Anwendung und erfreuen sich, nicht zuletzt aufgrund ihres Zusatznutzens, großer Beliebtheit. Als Beispiele hierfür seien die Verfügbarkeit von Leihrädern oder Car-Sharing-Autos, die Staumeldungen bzw. die Verkehrsdichte auf digitalen Landkarten bzw. Navigationssystemen oder die Besucherintensität von Einrichtungen im Tages- und Wochenverlauf genannt. Neuerdings werden die Erfahrungswerte gar mit den aktuellen Werten verglichen, sodass sich online nachsehen lässt, ob das Schwimmbad gerade besser oder weniger gut besucht ist, als normalerweise zu dieser Tageszeit an diesem Wochentag. Hier lässt sich der Gedanke anknüpfen, dass, was im Autoverkehr mit Staumeldungen möglich ist, auch für Fußgänger und Innenstädte problemlos möglich sein sollte. Fraglich ist nur, wer solche Daten wem und in welcher Form zur Verfügung stellt.

Einige Telekomanbieter bieten entsprechende GPS-basierte Daten bereits (zum Verkauf) an. In Estland wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes das Mobilitätsverhalten ausländischer Gäste untersucht, die sich über das Roaming in estnische Telekom-Netze eingewählt hatten (Raun et al. 2016). Auch die deutsche Telekom vermarktet „wertvolle Analysen für Städte, Handel und Tourismus“ (Telekom o. J.). Zwar lassen die Daten keine Rückschlüsse auf Einzelpersonen zu, sie ermöglichen aber einen aggregierten sozio-demografischen Split der Verkehrsteilnehmer nach Altersgruppe, Geschlecht, Stadtteil/Wohnort bzw. Bundesland.

Neben der GPS-basierten Verortung gewinnt zunehmend die RFID- bzw. BLE-Ortung (Bluetooth Low Energy) an Bedeutung. Diese Technik verortet – gewöhnlich in geschlossenen Räumen – in einem weitaus kleineren Radius, dafür aber auf wenige Zentimeter genau. Neben dem Einsatz in Produktion, Logistik, im Handel und im Gesundheitswesen nennt ein Hersteller auch Einsatzmöglichkeiten im Sicherheits- und Gastgewerbe und erwähnt hier ausdrücklich die Analyse von Kundenverhalten als mögliche Anwendung (Quuppa o. J.) Voraussetzung für den Einsatz von RFID- oder BLE-Technologie wäre es, dass die Gäste mit entsprechenden Sendern ausgestattet werden. Dies könnte relativ einfach über gechipte Eintrittskarten o. ä. erfolgen.

Aber auch ohne entsprechende Sender lassen sich die Bewegungen von Menschen nachverfolgen. Ein Kaufhaus in Kanada kam in die Schlagzeilen, als herauskam, dass dort Gesichtserkennungssensoren eingesetzt wurden (Rieger 2018). Während die Gesichtserkennung auf biometrische Merkmale zurückgreift und damit im Sinne der DSGVO als rechtlich bedenklich einzustufen ist, ist die quasi anonyme Nachverfolgung von Personen in der Praxis durchaus üblich. Leistungsstarke Sensoren können große Menschengruppen überwachen und deren Bewegungsströme analysieren. Diese Technik findet Einsatz beispielsweise in Messehallen oder in Museen und dient dort zur Personenzählung, zur Besucherlenkung bzw. zur Messung der Attraktivität einzelner Bereiche der Räume (Eastek Systems GmbH o. J.).

Mit der zunehmenden Verbreitung digitaler Zahlungsoptionen ergab sich auch für Kreditkartenfirmen eine interessante neue Geschäftssparte. Mastercard bietet neuerdings ortsgebundene aggregierte Kundendaten speziell auch für den Reise- und Gastgewerbebereich an (Mastercard Data & Services o. J.). Die gesammelten Daten werden anonymisiert und erlauben entsprechend aufbereitet zwar keine Aussagen zu einzelnen Kunden, wohl aber zu geclusterten Kundensegmenten. Für Destinationen ist dabei nicht nur das Verhalten vor Ort interessant, vielmehr lassen sich Aussagen treffen, die auch weiter in die Leistungskette greifen. Die Onlinebuchung, die Anmietung des Mietwagens, das Tanken an verschiedenen Stationen, die Unterkunft, das Essen und sonstige Einkäufe vor Ort und auch an anderen Stellen in weiteren Destinationen sind Datenspuren, die eine wertvolle Aussagekraft für Entscheidungsträger in den Destinationen haben. Wie oben erwähnt, ist das Wer ausreichend unscharf zu machen und erlaubt dennoch Aussagen zu verfügbarem Budget der Reise, der durchschnittlichen Ausgabehöhe an bestimmten Zahlstellen, zum Woher und zum Wohin. Die Datensammler fangen also an, das „Gold“ als Planungs- und Entscheidungshilfe zu verkaufen.

Gästekarten bieten Besuchern von Destinationen vorteilhafte Boni und Rabatte. So gewährt die Saarland-Card, die bei Übernachtung in Partnerbetrieben dem Gast übergeben wird, den kostenfreien Zugang zu über 85 Attraktionen sowie zur Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (Tourismus Zentrale Saarland GmbH o. J.). Mittels dieser Karte können – zumindest theoretisch – Daten zum Bewegungsmuster innerhalb der Destination erfasst werden, weil sowohl Zeitstempel als auch Messpunkte eindeutig feststellbar sind. Ein entsprechendes System vorausgesetzt, wäre eine Erfassung dieser Daten in Echtzeit möglich. So ließen sich personalisierte Angebote, ähnlich dem System im Online-Shopping, erstellen und kommunizieren. Das hierzu notwendige ausdrückliche Einverständnis der Kartennutzer dürfte abhängen vom Grad des Zusatznutzens, den die Nutzer in der Karte sehen. Aufbauend auf einer derartigen Datensammlung, könnte man solche Karten als Kundenbindungsinstrument zu einem Loyalty-Programm für Stammgäste erweitern, bei dem der Zusatznutzen der Karten gestaffelt wird, analog beispielsweise zu den Silber-, Gold- und Platinprogrammen von Fluggesellschaften. Spannend ist der Gedanke, solche Bonussysteme auf eine Stufe jenseits der einzelnen Destinationen auszuweiten. Nimmt man das Beispiel einer WelterbeCard[10], so wäre denkbar, dass Organisationen – in diesem Fall die UNESCO – als zentrale Datenschnittstelle fungieren. Organisatorisch ist dies bestenfalls Zukunftsmusik. Während Datenschützer vor einem Profiling der Touristen warnen, wären viele Reisende mitunter stolz, ‚verdiente‘ Mitglieder eines exklusiven Reiseclubs zu sein.

Als Mischung zwischen kartenbasierten Services und ortsspezifischen Angeboten nehmen Destinations-Apps einen gewichtigen Platz in der Kommunikation und Steuerung innerhalb von Reisezielen ein. Dabei sind die verfügbaren Inhalte oftmals nutzergeneriert und entziehen sich damit dem direkten Wirkungsbereich der DMO. Indem ein Wanderer einen Weg trackt, erschafft er die Datengrundlage für eine öffentliche Bereitstellung an andere Nutzer der gleichen App. Interessanterweise sehen, einer stichprobenartigen Analyse zufolge, die Apps (noch) keine automatische Speicherung von Bewegungsdaten innerhalb der Nutzerprofile vor und bieten damit auch keine Schnittstelle für die Bereitstellung aggregierter und anonymisierter Mobilitätsmuster. Technisch sollte eine derartige Erfassung problemlos möglich sein. Dennoch wären solche Daten immer unscharf, weil beispielsweise davon auszugehen ist, dass innerhalb einer Wandergruppe nur der Wanderführer die App nutzt bzw. nicht regelmäßig Daten aussendet, sondern die App aus Energiespargründen nur öffnet, wenn er Karteninformationen benötigt. Und letztlich nutzt laut Wandertourismusstudie nur knapp ein Drittel der Wanderer überhaupt das mobile Internet während ihrer Wanderung, zwei Drittel verzichten ausdrücklich darauf (BTE – Tourismus- und Regionalberatung 2018).

Der Vollständigkeit halber sei noch eine weitere mögliche Datenerhebungsquelle genannt. Im Rahmen der Bitcoin-Entwicklung sind destinationsspezifische digitale Währungen möglich, die eine Mischung aus Regionalgeld bzw. Urlaubsclubwährung und Blockchain-Technologie wären. Mitte 2018 wurde mit TraNexus eine eigene Reisebitcoin vorgestellt, die faktisch auf die gesamte touristische Reisekette übertragbar wäre und so die touristisch relevanten Aktivitäten sämtlicher Kontoinhaber dieser globalen Reisewährung quasi lückenlos aufzeichnen würde (Quelle). Ob und wem solche Daten in welcher Form allerdings zugänglich wären bzw. sein sollten, ist nicht definiert.

Abschließend bleibt zu sagen, dass technisch vieles möglich ist und der Datenschutz aus diversen Gründen nicht immer im Wege steht. Im militärischen Bereich ist das Tracking einzelner Personen bzw. von Personengruppen aus taktischen Gründen wünschenswert und vermutlich auch Standard. Im Bereich Personalwesen werden technische Lösungen feilgeboten, die die Besuchstermine – inkl. Orts- und Zeitstempel – aufzeichnen und so Arbeitgebern und Arbeitnehmern einen vollständigen Überblick über Arbeitszeiten und Aufenthaltsorten bieten. Alles einvernehmlich im Arbeitsvertrag legalisiert.

 Zusammenfassung und Ausblick

Voraussetzung für die Aktionsraumanalyse sind genehmigte Anonymisierung der Daten oder das ausdrückliche Einverständnis der getrackten Person. Bei einer Vielzahl von Apps ist eine Zustimmung zur Standortfreigabe mittlerweile bereits zwingend. Sprachbasierte Support-Systeme wie Siri oder Alexa machen ohne eine uneingeschränkte Standortfreigabe keinen Sinn. Hier ist eine spannende Entwicklung zu beobachten: Einerseits gilt die DSGVO, andererseits können Destinationen oder touristische Anbieter mittels Komforts, Sicherheitsargumenten (Notfallknopf), Loyalty- oder Benefit/Credit-Programmen lukrative Anreize für eine Standortfreigabe durch die Gäste schaffen. Bei allen technischen Möglichkeiten bleiben jedoch Aussagekraft und Validität der Daten beschränkt.

Die zentralen Fragen, in denen Forschungsbedarf besteht und die weiter zu diskutieren wären, lauten:

  • Wie lange wird es dauern, bis Destinationen die technischen Möglichkeiten nutzen und einen Best Local Explorer Wettbewerb ausrufen, um die Touristen zu tracken? Tun das vielleicht schon einige Destinationen? [11]
  • Wer könnte der Kopf sein, in dem in einer Destination oder destinationsübergreifend die Datenströme zusammenlaufen? Wie groß muss dieser sein, um handlungsfähig und gleichzeitig ausreichend finanzkräftig zu sein?
  • Haben die Touristen eine Verantwortung für die Destination, die Verständnis für die Notwendigkeit messbarer Besucherströme als Grundlage für Steuerungsmaßnahmen ermöglicht?
  • Dürfen Destinationen eine entsprechende Zustimmung zu einer Zugangsbeschränkung machen? Auf welcher legalen Grundlage?

[1] Hier muss der relativ hybride Aktionsraum der Destination klar abgegrenzt werden von in sich überwiegend geschlossenen Räumen wie diese z. B. auf Kreuzfahrtschiffen, in Clubanlagen oder Schutzgebieten vorherrschen.

[2] Touristisches Verhalten beschreibt hier ausschließlich die Bewegung von Touristen. Es geht nicht um andere Erhebungen von ortsbezogenen Informationen, die im touristischen Kontext denkbar und evtl. auch sinnvoll wären, wie z. B. die Messung der Laufmuster bzw. der Arbeitsleistung einer Bedienung oder die Fahrwegmessung von touristisch genutzten Fahrzeugen.

[3] Projektpartner war die Tourismus Zentrale Saar GmbH (TZS)

[4] Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) trat am 25. Mai 2018 in Kraft.

[5] Wie oben schon erwähnt war die TZS beispielhaft für DMOs im allgemeinen als Projektpartner beteiligt.

[6] Das Internet und der omnipräsente Zugang dazu via Smartphone haben Schnittstellen geschaffen, die die klassische Engstelle an der Tourismusinfo inkl. ihrer Steuerungs- und Kontrollfunktion stark verändert hat

[7] Diverse Wanderapps bieten Notfallknöpfe, die GPS-Daten an eine Leitstelle übersenden

[8] Fitnessarmbänder und Smartwatches können allerdings durchaus in eine solche Richtung interpretiert werden.

[9] Die DEHOGA könnte beispielsweise eine solche Sammelstelle sein.

[10] Die WelterbeCard ist eine Gästekarte für die Region Anhalt, Dessau, Wittenberg (WelterbeRegion Anhalt-Dessau-Wittenberg e.V. o. J.). Hier ist diese Karte als theoretisches Modell für eine Zugangskarte zu einem Verbund sich unter dieser Karte zusammenschließender Welterbestätten gedacht.

[11] Die Traumpfade-App bietet mit dem Traumpfade-Star ein digitales Stempelheft (Traumpfade Rhein-Mosel-Eifel o. J.)

Literaturverzeichnis

Beritelli Pietro, Laesser Christian, Reinhold Stephan, Kappler Arnold (Hrsg.) Das St. Galler Modell für Destinationsmanagement, Verl. Inst. für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG), 1. Auflage, St. Gallen

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Crist, Philippe (2015): Mobility Data and Location Tracking. https://www.youtube.com/watch?v=MatSRHV3MVg (10.02.2018)

DSGVO Datenschutz-Grundverordnung (2016): Erwägungsgründe und Kapitel I, Abs. 1-4 Allgemeine Bestimmungen https://dejure.org/gesetze/DSGVO (25.05.2018)

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Eastek Systems GmbH (o. J.): Key Performance steigern mit Instore Analytics. Produktpräsentation via E-Mail des Anbieters (06.07.2018)

Heuwinkel, Kerstin (2017): CSR, Tourismus und Gesundheit Neue Märkte, neue Verantwortung. In: Lund-Durlacher Dagmar, Fifka Matthias S, Reiser Dirk (Hrsg.) CSR und Tourismus. Springer Gabler, 1. Auflage, Berlin, Heidelberg, S. 101-114

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Rieger, Sarah (2018): At least two malls are using facial recognition technology to track shoppers‘ ages and genders without telling. https://www.cbc.ca/news/canada/calgary/calgary-malls-1.4760964 (30.07.2018)

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